Er erfüllt den Traum vom Fliegen

Unterwegs mit

Christoph Mühlemann, Tandempilot

Christoph Mühlemann ist Tandempilot bei Paragliding Jungfrau in Grindelwald. Wir haben den 38-Jährigen bei der Arbeit begleitet.
 
Christoph Mühlemann in Portrait.

3, 2, 1, los

Pilot Christoph Mühlemann und seine Passagierin Amanda aus Singapur laufen ein paar Schritte den Hang hinunter, dann verlieren sie auch schon den Boden unter den Füssen und gleiten ruhig davon. Über ihnen der blaue Himmel, unter ihnen die Farben des Herbst und vor ihnen das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Doch der Reihe nach.

 
Herzensfreude: Ein Tandemflug in der Jungfrau Region.

In der Schaltzentrale

Kurz nach 9 Uhr treffen wir Ueli Bohren an der Talstation der Firstbahn, in der Schaltzentrale von Paragliding Jungfrau. Vor 33 Jahren hat der 53-Jährige aus Grindelwald die Firma gegründet. Heute hat er Buchungs- und Einsatzleitung. Das heisst, er nimmt unter anderem sämtliche Reservierungen entgegen. Telefonisch, per WhatsApp, von Hotels oder über die Webseite und diverse Apps. «Einige wenige tätigen ihre Buchungen bereits ein halbes Jahr im Voraus, die Mehrheit aber bucht ein bis vier Tage vor dem Flug», sagt er – um sogleich eine telefonische Reservation entgegenzunehmen. Die meisten Gäste kommen aus Korea, den USA, Indien, Singapur und China. Anhand der Pilotenverfügbarkeit und Buchungen bietet Ueli Bohren die Piloten auf. Er kann dabei auf einen Pool von 22 Piloten zurückgreifen. Diese arbeiten allesamt selbständig. Auch steht an der Basis bei der Talstation Material für die Passagiere zum Ausleihen bereit. «Jacken, Handschuhe aber auch normale Schuhe, denn es gibt tatsächlich Leute, die es zustande bringen mit High Heels hier aufzukreuzen», so der Geschäftsführer.

 

Ohne Job wegen Corona

Ueli Bohrer zeigt zum Himmel. «Einige unserer Piloten sind bereits mit Gästen unterwegs». Nicht so Christoph Mühlemann aus Matten bei Interlaken. Er ist heute erst ab dem zweiten Turn eingeteilt. Nach der Ankunft in Grindelwald trinkt er wie jeden Morgen einen Kaffee im Restaurant Alte Post, dem Stammlokal der Gleitschirm-Tandempiloten. Vor zehn Jahren ist er – Kollegen sei Dank – zum Gleitschirmfliegen gekommen. Seit sieben Jahren fliegt der 38-Jährige nun bereits für Paragliding Jungfrau, wenn auch mit einem ungewollten Unterbruch. «Während der Corona-Pandemie hatte ich von einem Tag auf den anderen keine Arbeit mehr», erinnert er sich. Der gelernte Metallbauschlosser fand schliesslich auf dem Bau eine Zwischenlösung.

 
Besser geht nicht: Der Arbeitsplatz von Christoph Mühlemann
Christoph Mühlemann

Ich kann mit meiner Arbeit den Gästen ein Erlebnis bereiten, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, was will man mehr.

CHRISTOPH MÜHLEMANN Tandempilot

Das Hobby zum Beruf gemacht

Christoph Mühlemann holt seinen Schirm aus dem Depot und begibt sich zur Talstation der Firstbahn. Hier warten bereits die ersten Gäste. «Habt ihr schon ein Ticket», fragt er. Dieses ist im Preis – der First Panoramic Flug kostet 190 Franken – nicht inklusive. Und so hilft er bei Bedarf beim Kauf der Tickets. Nun treffen auch die anderen Piloten ein, welche bereits einen Flug hinter sich haben. Head Pilot ist heute Pascal Imhof. Er teilt die Gäste ihrem jeweiligen Piloten zu. Acht Piloten sind heute im Einsatz. Mit Christoph Mühlemann wird Caroline aus Korea fliegen. Dann geht es mit der Gondel hoch zur First. 25 Minuten dauert die Fahrt. Wenn man bedenkt, dass Christoph Mühlemann in der Hochsaison bis zu sieben Flüge pro Tag macht, verbringt er ganz schön viel Zeit mit Bahnfahren. Mehrere hundert Flüge – je nach Wetterverhältnisse und Anzahl Arbeitstage – sind es pro Jahr. Geschäftsflüge, denn auch privat fliegt Christoph Mühlemann gerne. «Ich bekomme nicht genug», sagt er. Und auf die Frage, ob er einen Traumjob habe, sagt er: «Ja, definitiv, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.» Und weiter: «Ich kann mit meiner Arbeit den Gästen ein Erlebnis bereiten, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, was will man mehr.»

 
Hoch zur First: Die Gondelfahrt gehört zum täglichen Business.

Den Wind studieren

Von der Bergstation geht es einen kurzen Spaziergang hinunter zum Startplatz. Beim Runterlaufen studiert Christoph Mühlemann den Wind. «Die Bedingungen sind nie gleich, jeder Flug ist anders, darum kommt auch nie Langeweile auf», wird mir erklärt. Beim Start weiss der Pilot dann ziemlich genau, welche Route er fliegt. Bereits am Vorabend hat er zudem mögliche Einschränkungen im Luftraum auf der App «DABS» (Daily Airspace Bulletin Switzerland) studiert. «Zum Beispiel wegen Militärübungen oder dem Fliegerschiessen Axalp.» So kann es auch mal vorkommen, dass nur ab Schreckfeld geflogen wird.

 
Gleich geht's los: Auf dem Weg zum Startplatz.

Wichtige Startchecks

Mit etwas Smalltalk lockert Christoph Mühlemann die Atmosphäre am Startplatz. «Man merkt ziemlich schnell, wer unruhig ist und wer nicht – und wie man mit ihnen umgehen muss.» Meistens spricht er mit den Gästen Englisch, «manchmal aber muss ich auch mit Händen und Füssen kommunizieren.» Instruktionen gibt er kaum am Start. «Je mehr ich rede, desto nervöser werden die Passagiere.» Zu Caroline, die heute zum ersten Mal fliegen wird, sagt er denn nur: «Gleitschirmfliegen ist Teamarbeit, beim Start musst du mir helfen, mitlaufen.» Und: «Hast du das Smartphone sicher verstaut?». Man will sich nicht vorstellen was passieren könnte, wen jemand unterwegs sein Handy verliert. Caroline zieht eine rote Windjacke von Paragliding Jungfrau an, ehe der Startcheck ansteht, der sogenannte 5-Punkte-Check: 1. Gurtschnallen geschlossen, Helm geschlossen Karabiner korrekt zu – beim Piloten und beim Gast, 2. Traggurt nicht verdreht und korrekt eingehängt, Schirmleinen OK, 3. Schirm gut ausgelegt, 4. Wind OK, 5. Luftraum frei => Start OK.

Vor dem Start ist aber noch Selfie-Time. Und auch später während dem Flug werden rund 25 Fotos und zwei Filme gemacht. Diese können am Landeplatz für 40 Franken gekauft werden. Ein Angebot, das nur die wenigsten ausschlagen.

 
Selfie Time: Christoph Mühlemann und Amanda aus Singapur

Der schönste Gleitschirmflug der Welt

3,2,1, los. Die beiden laufen den Hang hinunter, um nur Sekunden später abzuheben. Ich schaue ihnen hinterher, wie sie einen Extrabogen zum Wasserfall machen. Ob ich mich auch getrauen würde? Der Reiz ist schon da. Ich gönne mir eine Pause im Bergrestaurant. Eine kurze Pause, denn dann erwarte ich Christoph Mühlemann schon wieder beim Ausgang der Bergstation. Sein nächster Flug steht an. Diesmal mit Amanda aus Singapur.

Der Flug von First nach Grindelwald dauert ziemlich genau 20 Minuten. «Es ist der schönste Gleitschirmflug der Welt», sagt der Pilot vor dem Start zu seiner Passagierin. Und hat damit sicher nicht ganz Unrecht. Vor den Augen von Eiger, Mönch und Jungfrau, vorbei an einem Wasserfall – ja sogar oft begleitet von einem Adler. Kein Wunder findet Amanda unten angekommen nur lobende Worte: «Das Panorama war unglaublich schön.» Oben war sie vor ihrem ersten Flug noch etwas nervös. «My First at First», versuchte sie die Anspannung mit einem witzigen Spruch etwas zu kaschieren. «Kaum in der Luft aber war die Nervosität weg und ich habe es einfach genossen.».

 

Glückshormone am Landeplatz

Als ich mit der Firstbahn zurück nach Grindelwald fahre, kreuze ich unterwegs vermutlich Christoph Mühlemann. Während er bereits wieder auf dem Weg zum Startplatz ist, begebe ich mich zum Landeplatz Bodmi, 200 m oberhalb der Talstation. Kaum angekommen, erblicke ich schon die ersten Schirme von Paragliding Jungfrau am Himmel. Christoph Mühlemann setzt die Landung punktgenau. Auch seine dritte Passagierin am heutigen Tag ist rundum zufrieden. Kein Wunder, zusammen mit ihrem Mann, der nur Sekunden vor ihr gelandet ist, verbringt sie ihre Flitterwochen in der Schweiz. Spätestens nach diesem Flug unvergessliche Flitterwochen.

Auch am Landeplatz vor Ort: Ueli Bohren. Er fährt die Rucksäcke der Piloten zurück zur Talstation, so dass sich diese ohne das 25 kg schwere Gepäck auf den Weg zur nächsten Bahnfahrt machen können. Ich verabschiede mich, während Ueli Bohren die nächste Buchung entgegennimmt – und Christoph Mühlemann wieder nach oben fährt. Denn in einer Stunde heisst es wieder: 3, 2, 1, los.

Mehr Informationen
Paragliding Jungfrau GmbH

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Fotos: Sina Fuchser und Christoph Mühlemann
Story: Raphael Hadorn
Herbst 2022

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